Donnerstag, 2. Dezember 2010

"herr verteidiger"

ruft der staatsanwalt dem anwalt der nebenklage zu. da hat er wohl etwas missverstanden, angeklagt ist nicht michael buback, sondern verena becker.

man könnte sicher den standpunkt vertreten: angeklagt ist neben der terroristin und mutmasslichen todesschützin becker AUCH der generalbundesanwalt, denn es steht noch immer die mutmassung im raume, der staat habe damals ein schmutziges spiel gespielt.

in der FR liest man:


Ein heute 67 Jahre alter Zeuge, der vor 33 Jahren das Tatmotorrad gesehen haben will, hat damals ausgesagt, auf dem Rücksitz habe „vermutlich“ eine Frau gesessen, nun sagt er, es sei „sicher“ eine Frau gewesen. Es kommt zum Disput zwischen Hemberger und dem Anwalt Bubacks, und Hemberger fährt ihn an: „Herr Verteidiger!“

Es ist ein Versprecher, aber er zeigt die Wahrheit. Um Verena Becker geht es nicht. Sie schweigt seit dem ersten Verhandlungstag, seit ihrer zweisilbigen Auskunft über ihren Personenstand: „Ledig.“ Seitdem ist sie Prozessbeobachterin. Sie beobachtet, wie dem Nebenkläger, dem Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, von der Bundesanwaltschaft der Prozess gemacht wird.



auch die faz macht sich so ihre gedanken, und ist dabei erfrischend kritisch mit beiden seiten (die unüblicherweise beide auf der klageseite stehen):

Die Akten sind das Nadelöhr, durch das wir die Vorgänge von 1977 wahrnehmen, und jeder, der sich mit ihnen beschäftigt, wird auf diese eigentümliche Form der Medialität verwiesen. Die „Normalität der bürokratischen Maschine“ (Cornelia Vismann) und ihrer bürokratischen Techniken hat schon immer ein Eigenleben geführt, das von unseren Wunschbildern abwich. So würde die andere Deutungsmöglichkeit lauten, dass im Fall Buback nicht nach Staatsräson vertuscht wurde, sondern Ermittlungsapparate mit all ihren strukturellen Schwächen arbeiteten, die durch besondere Umstände potenziert wurden. Dass solche Schlampereien den Beobachtern „ungeheuerlich“ erscheinen, sollte sie nicht zu dem Schluss verleiten, dass sie ausgeschlossen sind.

Aber auch der Verdacht der vorsätzlichen Manipulation findet seinen Resonanzboden im Medium der gefledderten Akten: „Wenn nur in der Welt ist, was in den Akten steht, reicht es umgekehrt aus, Akten zu vernichten, um eine unliebsame Wirklichkeit zu tilgen“, heißt es bei der in diesem Jahr verstorbenen Medienwissenschaftlerin Cornelia Vismann. Die Unvollständigkeit der Akten bleibt deutungs- und erklärungsbedürftig, jene Amtsträger, die sie führten, sind nicht allein deswegen von Bubacks Großverdacht freigesprochen, weil es trivialere Möglichkeiten gibt, bizarre Aufschreibe- und Löschungsvorgänge zu plausibilisieren. Ob solche Medientechnik als Machttechnik dem Recht oder dem Unrecht dienen wollte, das herauszufinden sollte ein Strafverfahren in der Lage sein. Es wäre ein guter Tag für den Rechtsstaat.

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