Sonntag, 9. März 2008

ein fall von stutenbissigkeit?

wie die taz berichtet, soll es auf der krisensitzung der spd in frankfurt hoch hergegangen sein.

"Gut drei Stunden lang war die 49 Jahre alte Dissidentin aus Darmstadt an diesem Sonnabend von knapp 100 Funktions- und Mandatsträgern der hessischen SPD massiv unter Druck gesetzt worden. Sie habe ihren Widerstand gegen die Wahl von Ypsianti zur Ministerpräsidentin wegen der dafür einkalkulierten Stimmen der sechs Abgeordneten der Linken umgehend aufzugeben oder ihren Sitz im Hessischen Landtag zu räumen, hieß es unisono. Metzger aber widerrief nicht.
(...)
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Schattensozialministerin im Kompetenzteam von Ypislanti, Petra Fuhrmann, warf Metzger schon vor Sitzungsbeginn vor, Partei- und Fraktion "in Geiselhaft" genommen zu haben. Dass sich Metzger jetzt als "einzige moralische Institution" aufspiele, sei "eine Frechheit". Zuvor schon hatte Schattenfrauenministerin Judith Pauly-Bender wütend angemerkt, dass es schließlich um die Eroberung der Regierungsmacht in Hessen gehe, und nicht um die "Gewissensnöte" einer einzelnen Abgeordneten."

sieht so aus, als würden die frankfurter damen das unter sich aus machen.


aber auch die anderen pressestimmen sind verheerend!

in der financial times liest sich das so:

Die Frau, die alles über den Haufen geworfen hat, die alles zerstört hat, steht plötzlich ganz verloren da. Sie wartet am Rande des Sitzungssaals, blass sieht sie aus, sie hat kaum geschlafen die Nacht.

Ständig läutete das Telefon, einige sehr unangenehme Anrufe waren darunter. Jetzt ist sie angespannt, unentwegt knetet sie ihre Hände. "Ich bin natürlich die Person, die hier heute an den Pranger gestellt wird", sagt sie, "aber ich denke, das wird sich legen." Dagmar Metzger irrt. Es geht gerade erst los.

"Die Lage ist schwierig, aber nicht hoffnungslos", ruft Ypsilanti dem Pulk Journalisten zu. Es ist ein bizarres Schauspiel, das nun folgt: Kaum hat Hessens SPD-Parteichefin den Saal betreten, erheben sich die rund 100 Parteimitglieder im Saal und applaudieren minutenlang begeistert. An Ypsilantis Platz steht ein riesiger Tulpenstrauß, als habe sie gerade eine Wahl gewonnen.

Auch Metzger applaudiert, reiht sich ein in die kollektive Akklamation, ganz hinten sitzt sie in der letzten Reihe, auf dem Platz, den Lehrer gern aufsässigen Schülern zuweisen. Doch es ist der Applaus von einem Menschen, dem die Vorstellung nicht wirklich gefällt. Schwerfällig treffen die Handflächen aufeinander, Metzgers Blick geht nach vorn, aber er fixiert nicht. Sie kämpft um Fassung.

Dann fällt die rot umrandete Milchglastür zum Saal zu. Dagmar Metzger, die Abweichlerin, die ihr Gewissen über die Partei stellte, wird ihn erst nach sechs quälenden Stunden wieder verlassen. Und sie wird eine andere sein.

Offiziell geht es im Saal um einen Parteitagsbeschluss. Doch allmählich sickert durch, worum es vor allem geht: Die Abgeordnete soll unter Druck gesetzt werden, ihr Mandat niederzulegen. Metzger soll geschlachtet werden.


Die SPD will in Hessen an die Macht kommen, um jeden Preis, auf Biegen und Brechen. "Wir sind fest entschlossen zu regieren", sagt der Marburger SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Spies nach der Sitzung. "Der Wille der Landes-SPD ist ungebrochen, das Projekt umzusetzen, das wir im Wahlkampf begonnen haben: den Aufbruch in die soziale Moderne", tönt auch Ypsilanti, als sei nichts gewesen - einen Tag, nachdem sie das Tolerierungsmodell mit der Linken für gescheitert erklärt und angekündigt hat, sich doch nicht zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen.

Es ist ein wirres Spektakel, ein atemloses Hin und Her, das die hessische SPD in diesen Tagen dem Land bietet: Parteirechte streiten mit Parteilinken, Bundespolitiker mit Landespolitikern, aus Triumphzügen werden Blamagen, aus Plänen werden Scherbenhaufen, die tags darauf zu neuen Plänen zusammengesetzt werden.

Mit einem Ziel: in Wiesbaden an die Macht zu kommen. "Man muss auch sehen, wie viele Menschen vergewaltigt werden, wenn Roland Koch weiterregiert", sagt etwa die Abgeordnete Judith Pauli-Bender, die seit 17 Jahren im hessischen Parlament sitzt. Und so müssen Widerstände und Hindernisse eben entfernt werden.


Es ist Donnerstagnachmittag, als Deutschland das erste Mal den Namen Dagmar Metzger hört. Die Abgeordnete aus Darmstadt, die bis dahin im schweizerischen Chur bei strahlender Sonne und Pulverschnee Skiurlaub machte, will den Linkskurs der SPD nicht mittragen. Am Tag darauf tritt sie vor die Kameras. Das Gesicht leicht gerötet, die Augen glänzen, der Mund schmal und hart, und doch bebt ihre Stimme zwischendurch.

90 Minuten hat Ypsilanti versucht, sie umzustimmen. Doch Metzger bleibt bei ihrem Nein, erzählt, wie ihre Familie in Westberlin durch den Mauerbau zerrissen wurde. Der Pakt mit den Linken käme in Hessen einem "Ritt auf der Rasierklinge" gleich, sagt sie.

Kurz darauf sagt Ypsilanti, dass sie ihre Pläne aufgibt. Die Blamage ist da. In Berlin erhebt sich in der Partei ein Gewirr von Stimmen, mal entsetzt, mal voller Häme, mal einfach nur fassungslos. Über den Rücktritt von Ypsilanti wird spekuliert, über den Rücktritt von Parteichef Kurt Beck, innerhalb von wenigen Wochen fällt zum zweiten Mal der Name Franz Müntefering.

Und auch Fragen tauchen auf: Warum wurden die Zweifel, die Metzger bereits vor ihrem Urlaub geäußert hat, nicht bis zu Ypsilanti getragen? Warum hat Ypsilanti sich nicht bei jedem Abgeordneten rückversichert? Warum gab es keine Probeabstimmung?

Und während die Frau, die mit ihrem Gewissen alles umgeworfen, die alle beschädigt hat, nach Unterstützung sucht, kommt der nächste Paukenschlag. Auch Metzgers potenzieller Nachrücker Aron Krist, berichtet die "Frankfurter Rundschau", meldet "Bauchschmerzen" an.

Er ist Arzt in einem Krankenhaus, er hat Schicht an diesem Sonntag. Eigentlich hat er gar keine Zeit für den Patienten SPD. "Bei mir ist es allerdings keine Gewissensentscheidung", sagt er. "Meine Bedenken sind eher technischer Natur. Das Tolerierungsmodell fällt mir sehr schwer. Unter den Linken sind nur sehr wenige Profis, das kann für Hessen nicht gut sein." Ob Krist nachrückt, ist noch nicht entschieden.

Aber die Hessen-SPD hat ja inzwischen Übung, Genossen auf Linie zu bringen. Und wer ein Gewissen in sechs Stunden kleinkriegt, wird "technische Bedenken" wohl nebenher ausräumen.


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