Samstag, 16. August 2008

die wahrheit in Der Tagesspiegel

Mit demselben Kopf gegen dieselbe Wand
Ypsilanti versucht erneut mit Hilfe der Linke in Hessen an die Macht zu kommen und stürzt die Bundes-SPD immer tiefer in der Krise – Folgen für die K-Frage
DT vom 16.08.2008
Von Martina Fietz
Man hat die Worte von Kurt Beck noch im Ohr. Der SPD-Vorsitzende hoffte, dass seine hessischen Parteifreunde „nicht mit demselben Kopf noch einmal gegen die- selbe Wand rennen“. Genau das allerdings hat Andrea Ypsilanti nun doch vor. Die Tatsache, dass sie sich bei ihrem zweiten Anlauf einen Helm aufsetzt, kann die Führungsriege in Berlin nur wenig beruhigen. Das Unternehmen bleibt hoch gefährlich und führt zu Verletzungen – egal, ob die Landespartei am Ende die Mauer durchbricht und Ypslianti Ministerpräsidentin wird oder nicht.
Ein linkes Bündnis entspricht der Politik von Frau „XY“
Landespolitisch fährt die Vorsitzende einen riskanten Kurs durch ihre Fixierung auf ein Bündnis mit den Grünen, das von der Linken geduldet werden soll. Denn nur das ist das eigentliche Ziel Ypsilantis. Der in dieser Woche in Gang gesetzte Diskussionsprozess dient allein der Absicherung dieses Regierungsprojektes durch die Basis. Zwar findet sich auf Seite drei des insgesamt sechs Seiten umfassenden Fahrplans für die nächsten Wochen ein weiter gefasster Satz: „Die hessische SPD steht vor der Herausforderung – nachdem es für die rot-grüne Wunschkoalition nicht reicht und die FDP weiterhin eine Ampel-Koalition brüsk ablehnt –, sich entweder auf eine Große Koalition einzulassen oder eine Koalition mit den Grünen anzustreben, die durch die Linkspartei toleriert wird.“ Die Option, Verhandlungen mit der Union einzugehen, nimmt die Mannschaft an der hessischen SPD-Spitze allerdings nicht ernsthaft in den Blick. Möglichkeiten dazu hätten sich schon früher eröffnet. Im übrigen wird Ypsilanti nicht müde, auf einen Beschluss ihres Hanauer Parteitages vom März zu verweisen, in dem die Mehrheit der Partei ihrer Empfehlung folgte, keine Verhandlungen mit der von Roland Koch geführten CDU aufzunehmen.
Mag die SPD-Frau auch noch so oft von einem „ergebnisoffenen Prozess“ sprechen, der sich bis zu einem auf den 4. Oktober terminierten Parteitag hinziehen soll: Ypsilanti will die Zusammenarbeit mit den Grünen, will die Duldung durch die Linke. Das entspricht viel eher ihrer politischen Linie. Man erinnere sich. Ypsilanti zählte zu den heftigsten Kritikern der Schröderschen Agenda-Politik, was den damaligen Bundeskanzler noch zu der Äußerung hinriss, er lasse sich von einer „Frau XY“ nicht vorschreiben, welchen Weg er zu gehen habe.
Der hessische SPD-Landesverband ist stets durch überwiegend linke Positionen aufgefallen, insbesondere der Bezirksverband Hessen-Süd, aus dem Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul stammt, die den Beinamen „Rote Heidi“ trägt. Im Norden des Landes finden sich eher gemäßigte bis rechte Parteifreunde. Sie alle will Ypsilanti nun in die Verantwortung einbinden und zur Loyalität verpflichten, denn ihr Risiko ist hoch: Sie benötigt 56 der insgesamt 110 Stimmen im hessischen Landtag. Aus den eigenen Reihen sind ihr nur 41 sicher. Die Abgeordnete Dagmar Metzger bleibt bei ihrem Nein zu dem Vorhaben. Damit muss jeder Parlamentarier der Grünen und der Linken seine Stimme für Ypsilanti abgeben, soll die Wahl zur Ministerpräsidentin erfolgreich sein. Beide Parteien versichern, auf ihre Leute sei Verlass. Allerdings ist die Wahl geheim. Bis heute ist beispielsweise nicht klar, wer im schleswig-holsteinischen Landtag 2005 die Wiederwahl von Heide Simonis zur Regierungschefin verhinderte.
Jeden Abgeordneten einzeln bearbeitet: Locken und drohen
In der eigenen Fraktion hat Ypsilanti Einzelgespräche mit jedem Abgeordneten geführt und – freundlich verpackt – zwei Lockmethoden geboten. Zum einen wurden Regierungsämter in Aussicht gestellt. Zum anderen gab es den Hinweis, dass im Falle von Neuwahlen ein erheblicher Teil der Parlamentarier seinen Sitz verlieren könnte. Schließlich hat die SPD in Hessen nach den Umfragen im Vergleich zur Landtagswahl rund acht Prozentpunkte verloren. Prompt gab Koch den Sozialdemokraten mit auf den Weg, eine Niederlage von Ypsilanti müsse nicht zwangsläufig zu Neuwahlen führen. Dann öffne sich „ein zeitlich überschaubarer Korridor“ für Verhandlungen über eine Große Koalition. Und er fügte an: „Wir haben in Hessen vermutlich die einzige Sozialdemokratie der Nachkriegsgeschichte, die mit jedem Dahergelaufenen Verhandlungen führen würde, nur nicht mit der anderen großen Volkspartei.“ Eine solche Botschaft kann verfangen bei all denen in der SPD, die dem avisierten Kurs skeptisch gegenüberstehen. Drei Abgeordnete sollen das mindestens sein, ist zu hören.
Doch selbst wenn die Wahl gelingen sollte – wie will die hessische SPD-Frau konstruktive Regierungsarbeit abliefern? Kritiker verweisen gern darauf, dass ihr gesamtes Vorgehen seit der Landtagswahl sprunghaft und wenig perspektivisch, sondern allein von dem Streben nach der Macht geprägt war. Ist Ypsilanti wirklich zuzutrauen, im Verein mit den Grünen realistische Politik zu machen, die dann auch noch dem Geschmack der Linken entsprechen wird? Neben dem Haushalt, in dem die Linke keinerlei Personalkürzungen sehen will, tun sich mindestens zwei Konfliktfelder auf: die Arbeit des Verfassungsschutzes wie auch der Ausbau des Frankfurter Flughafens.
Doch nicht nur für Hessen birgt der eingeschlagene Weg große Risiken. Die Bundes-SPD leidet an dem Wortbruch ihrer dortigen Genossen. Das Forsa-Institut – zugegebenermaßen extrem SPD-kritisch – bewertete die Partei in dieser Woche nur noch auf 20 Prozent. Parteichef Beck trägt wegen Hessen ein Glaubwürdigkeitsproblem mit sich herum. Schließlich hatte auch er vor der Wahl zu einem Bündnis mit den Linken ein klares Nein gesagt, um anschließend den Landesverbänden in dieser Frage freie Hand zu lassen. Dass er nach wie vor Ypsilantis Weg für falsch hält, fällt nicht ins Gewicht, da er diese nicht davon abbringen kann. In der vergangenen Woche ist sein Bemühen darum wiederholt gescheitert.
Die Genossen leiden am Wortbruch, die Union hofft
Die Union hofft nun, aus der Lage Kapital schlagen zu können, indem sie Außenminister und SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier auffordert, dem hessischen Treiben Einhalt zu gebieten – wohl wissend, dass auch Steinmeier dazu keine Kompetenz hat. Dass er sich unter den gegebenen Umständen überhaupt zu einer Kanzlerkandidatur bereit erklärt, ist nicht garantiert. Schließlich wird das hessische Thema den Bundestagswahlkampf prägen. Und Steinmeier steht – als maßgeblicher Autor der Agenda 2010 – klar für einen anderen Kurs.
Den Zeitplan der Bundespartei dürfte Ypsilanti bereits jetzt durcheinandergewor- fen haben. Zunächst war angedacht, den Kanzlerkandidaten nach der bayerischen Landtagswahl vom 28. September zu benennen. Das werden Beck und Steinmeier sich nun gut überlegen angesichts des am 4. Oktober anstehenden Hessen-Parteitages und einer möglicherweise im November stattfindenden Ministerpräsidentinnen-Wahl oder -Nicht-Wahl. Am Ende könnten die Hessen dazu beitragen, dass die Bundespartei nicht mit dem Kandidaten in die Wahlauseinandersetzung mit Angela Merkel zieht, den sie für den besten hält, sondern dass einer antritt, der aus Pflichtgefühl eine absolut unlösbare Aufgabe übernimmt.

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